„Einsicht ist überall willkommen.“ (Johann Wolfgang von Goethe) – Gilt dies auch für Patienten?
Welche Konsequenzen hat das Patientenrechtegesetz für Zahnärzte? Vor der Beantwortung dieser Frage sei ein Teildes Gesetzestextes vorangestellt:
§ 630g Einsichtnahme in die Patientenakte
(1) Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. § 811 ist entsprechend anzuwenden.
(2) Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.
(3) Im Fall des Todes des Patienten stehen die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben zu. Gleiches gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen. Die Rechte sind ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht.
Der Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakte bezieht sich auf deren gesamte Dokumentation, soweit nicht erhebliche Rechte Dritter oder wesentliche therapeutische Gründe entgegenstehen. Bestehen derartige Gründe, müssen Unkenntlichmachungen ersichtlich bleiben und begründet werden.
Werden persönliche Anmerkungen des Zahnarztes dokumentiert, unterliegen auch diese grundsätzlich dem Einsichtsnahmerecht. Soll dies vermieden werden, müssen solche Notizen außerhalb der Patientenakte gespeichert werden.
Dies führt zur Frage: Welche Dokumente gehören zur Patientenakte und welche nicht? In Paragraph 630f Abs. 2 BGB werden lediglich beispielhaft (also nicht abschließend) Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen sowie eventuelle Arztbriefe als Bestandteile der Patientenakte genannt. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung werden zudem ausdrücklich Einwilligungen und Aufklärungen als obligatorische Gegenstände der Dokumentation aufgeführt. Festzuhalten ist bei der Aufklärung nicht nur, dass diese stattgefunden hat, es müssen auch der Name des Aufklärenden, der Zeitpunkt der Aufklärung sowie das zeitliche Verhältnis zur Behandlung genannt werden. Darüber hinaus müssen besondere Umstände, wie beispielsweise der ausdrückliche Verzicht eines Patienten auf Aufklärung und Einwilligungserklärungen des Patienten dokumentiert werden.
Mit der Kodifizierung des Einsichtnahmerechts verpflichtet der Gesetzgeber den Zahnarzt, alle medizinisch relevanten Tatsachen in der Patientenakte umfassend zu dokumentieren, die bei einer eventuellen späteren Auseinandersetzung von Bedeutung sein könnten. Dem Zahnarzt wird also von Gesetzes wegen die Verpflichtung auferlegt, für den Patienten Beweise zu sichern, damit dieser zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit hat, seine Ansprüche zu belegen.
Diese Forderung wird auch durch Paragraph 630f Abs. 1 Satz 2 BGB untermauert, der besagt, dass die Patientenakte manipulationssicher zu führen sei. Das bedeutet, jegliche Änderung an einem Dokument muss neben dem ursprünglichen Text erkennbar bleiben. Zudem muss der jeweilige Änderungszeitpunkt ersichtlich sein. Die Vermutung liegt nahe, dass in Zukunft, entgegen der bisherigen Rechtsprechung, bei einer nicht manipulationssicher geführten Patientenakte der Beweiswert der Dokumentation insgesamt infrage gestellt, wenn nicht gar aufgehoben wird. Vor diesem Hintergrund sollten Sie Ihre Dokumentation auf den Prüfstand stellen, damit diese im Falle ungerechtfertigter Ansprüche eines Patienten den richtigen Beweiswert zuerkannt bekommt.
Der Patient hat durch die Kodifizierung seines Einsichtnahmerechts einen grundsätzlichen und unbedingten Anspruch, ohne Angaben von Gründen in die gesamte Patientenakte Einsicht zu nehmen. Die Einsichtnahme ist unverzüglich und ohne vorsätzliche Verzögerung zu ermöglichen. Die anfallenden Kosten können von dem Patienten vor der Einsichtnahme in Rechnung gestellt werden. Dies wiederum erfordert jedoch von der Praxis, dass die Kosten zumindest in der Größenordnung im Vorfeld richtig eingeschätzt werden können.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Patient ein Formenwahlrecht hat. Das heißt, er kann sowohl den Papierausdruck als auch eine digitale Kopie einfordern und dies unabhängig davon, ob Sie eine Papierakte oder eine elektronische Akte geführt haben. Auf beides sollten Sie als Zahnarzt vorbereitet sein.
Haben Sie, geschätzter Leser, eine zuverlässige Vorgehensweise, die es Ihnen ohne Fehlertoleranz ermöglicht, auf die gesamte Patientendokumentation zuzugreifen? Haben Sie dabei berücksichtigt, dass sich nicht nur (elektronische) Dokumente in Ihrer Praxisverwaltungssoftware befinden, sondern außerdem wichtige Informationen in vielen Feldern der unterschiedlichen Fenster des Programmes enthalten sind? Wo finden Sie die elektronische Kommunikation zwischen dem Patienten, Ihnen und gegebenenfalls anderen Ärzten (Stichwort: E-Mail)? Wo sind die Bildbefunde abgelegt? Wo sind die in Papierform vorliegenden Dokumentationen (Hygiene, zahntechnische Werkstücke, Materialnachweise etc.) archiviert worden?
In diesem Kontext ist der bereits oben aufgeführte Anspruch auf Vollständigkeit nicht zu unterschätzen. Prof. Dr. Thomas Ratajczak führt dazu im Magazin für praktische Implantologie und Implantatprothetik (pip 1/2014) aus: „In einigen Strafverfahren (die leider gegen Zahnärzte immer mehr zunehmen) stießen wir dagegen auf ein Problem, das uns mehr als nur gelinde überraschte. Die Staatsanwaltschaften hatten die Beschlagnahme der Behandlungsunterlagen beantragt, die zuständigen Amtsgerichte hatten die entsprechenden Anordnungen erlassen und die Polizei die Praxen aufgesucht“. Dazu muss man wissen, dass die Staatsanwaltschaft die Prüfungen nicht in der Zahnarztpraxis selber durchführt, sondern die kompletten- und die Betonung liegt auf vollständigen Unterlagen mitnimmt; sei es in elektronischer oder Papierform. Sollte sich im Laufe der Untersuchung herausstellen, dass nicht die gesamte Dokumentation übergeben wurde kann dies bis zur Beschlagnahmung der Praxis-EDV für mehrere Wochen führen, was wohl für fast alle Praxen das absolute Horrorszenario darstellt,(…) Es ist auch kein Vergnügen, der Staatsanwaltschaft mit solchen aus ihrer Sicht nachgeschobenen Daten nachweisen zu müssen, dass der aus der Lektüre der beschlagnahmten Akte gewonnene negative Eindruck bei Kenntnis aller Behandlungsinformationen in sein Gegenteil verkehrt wird. Kein Vergnügen für die Strafverteidiger und schon gar nicht für die betroffenen Zahnärzte, denen man ja auch Vertuschungsabsicht unterstellen könnte. Immerhin stellt der dringende Verdacht, der beschuldigte Zahnarzt würde Beweismittel vernichten, verändern, beiseiteschaffen, unterdrücken oder fälschen, nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 lit. b StPO einen klassischen Grund für die Verhängung von Untersuchungshaft dar. Angesichts der nur sehr beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der Patientenseite im Zahnarzthaftungsprozess liegt es aus der Sicht eines sorgfältig handelnden Patientenanwalts durchaus nahe, foul play zu vermuten und mit dem Vorwurf der Urkundenfälschung nach § 267 bzw. § 269 StGB und des versuchten Prozessbetruges die Staatsanwaltschaft einzuschalten, um überprüfen lassen zu können, ob die ‚neuen‘ Behandlungsunterlagen nicht doch nachträglich gefertigt wurden.“
Kein Grund ängstlich zu werden aber ein guter Grund aktiv zu werden. Es gibt einfache Möglichkeiten, den eindeutigen gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen und ganz nebenbei eröffnet sich zudem die Chance, durch sinnvolle Verfahrensanweisungen und Hilfsmittel, die der Praxis zu einer effizienteren und sichereren Dokumentation verhelfen, die gesamte Praxisorganisation zu stärken und leistungsfähiger zu machen. PDF zum Download