ABZ-ZR widmet sich am Tegernsee der Zukunft der Kieferorthopädie
Nach der gelungenen Premiere von SEA LOVE KFO, dem Kongress der ABZ-ZR im vergangenen Jahr waren die Erwartungen hoch, und – dies sei vorweggenommen: der diesjährige Kongress konnte die Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern übertreffen. Die neue Location im Althoff Seehotel Überfahrt, direkt am Tegernsee gelegen, trug hierzu ebenso bei wie das phantastische Programm, das Dr. Moritz Försch gemeinsam mit ABZ-ZR-Geschäftsführer Tassilo Richter zusammengestellt hatte.
Dies zeigte sich bereits am Vorabend des Kongresses, als Technologie-Investor Frank Thelen in seiner Keynote die KI in den Mittelpunkt stellte – oder genauer „Neue disruptive Techniken, die unsere Welt in allen Bereichen in den kommenden Jahren verändern werden.“ „Die Technologie ist die Ursache für unsere Herausforderung, aber auch die einzige Lösung.“ Auch in der Kieferorthopädie. Angst vor der Zukunft müsse man in der Kieferorthopädie dennoch nicht haben, auch wenn die Technologie das Berufsbild verändern werde. „Soziale Kompetenz kann auch die KI nicht ersetzen.“ Dies unterstrich auch der Vorkongresskurs am Freitagnachmittag mit Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets. Der stellv. Klinikdirektor und Leiter der Sektion Regenerative Orofaziale Medizin am UKE hinterfragte kritisch: „Gibt es wirklich keine Risikopatienten in der KFO? Müssen wir wirklich nichts beachten?“ Als Mund-Kiefer-Gesichtschirurg warf Prof. Smeets den „Blick von außen“ auf die KFO – und plädierte für eine stringente interdisziplinäre Kommunikation.
Beim Kongress gab sich das Who is Who der KFO-Referenten die Klinke in die Hand: Los ging es mit Dr. Andrea Foltin aus Wien, die unter dem Titel „You can WIN if you want“ die Vorzüge der Lingualtechnik und ihre Berechtigung neben der Alignerbehandlung herausarbeitete.
Dr. Foltin stellte die Vorteile der Lingualbehandlung gegenüber anderen Behandlungsmöglichkeiten dar (bis zu 5 x weniger White Spots als bei herkömmlichen Brackets, ermöglicht eine sehr präzise Fehlstellungskorrektur). Häufig höre sie von ergonomischen Problemen der Behandler beim Bonding. Ihr Tipp: „Verändern Sie die Liegeposition der Patienten und damit auch Ihre Sitzposition. Kippen Sie den Patienten leicht nach hinten – das ist machbar, für 15 bis 20 Minuten. Sie machen das den ganzen Tag.“ Sie empfehle deshalb eine 12-Uhr- anstatt einer 8-Uhr-Position.
Prof. Dr. Dr. Collin Jacobs aus Jena betrachtete die „Kieferorthopädie auf dem interdisziplinären Spielfeld der digitalen Zahnmedizin“ und brach eine Lanze für die „Individuelle Kieferorthopädie“. Es sei gerade das umfassende Wissen um die Funktion, das die Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden auszeichne. „Das, und die Empathie für unsere Patienten – das wird keine KI ersetzen.“ Der interdisziplinäre Behandlungsansatz nutze unterschiedliche Denkansätze verschiedener Fachrichtungen und führe zu individuellen Lösungen. Im Fokus einer interdisziplinären Behandlung stehe stets das Wohl des Patienten – und zwar von der Diagnostik bis zur Retention. Die Digitalisierung erleichtere den Austausch sowie die Kommunikation ungemein.
Den digitalen Workflow stellte auch Dr. Oliver Liebl, Wertheim, ins Zentrum seines rasanten Vortrags. „Wenn Sie sich fragen, wann Sie anfangen wollen zu scannen – JETZT ist der richtige Zeitpunkt.“ In Sachen KI stehe die Kieferorthopädie, aber auch die Gesamtgesellschaft, erst am Anfang, dennoch sei die Angst, die KI würde KFO-Know-How ersetzen, unbegründet. Digitale Tools könnten in der Praxis weit über die reine Behandlung hinaus Erleichterung bringen – beispielsweise setze er auf eine „hybride Beratung“: Die persönliche Beratung unterstützt ein Flyer mit Text und QR-Code, der zu einem Video führt, in dem ein Avatar die Behandlungsmöglichkeit mehrsprachig erläutert. Allerdings gelte hier wie bei allen digitalen Tools in der KFO: „Es wird Ihnen nicht erspart bleiben, selbst nochmal drüber zu gehen, zu kontrollieren und Korrekturen vorzunehmen.“
Wie die digitale Kieferorthopädie sich dann in Euro und Cent niederschlägt, war das Thema von Abrechnungsexpertin Heike Herrmann, Köln. Sie stellte das aktuelle Urteil des LG Stuttgart vor, das sich mit der Abrechnung digitaler Leistungen in der KFO-Praxis auseinandersetzte und gab Tipps zur Handhabung. Ebenfalls Management, allerdings in Sachen Personal, stand anschließend mit Sylke Bittner auf der Agenda. „Wenn KFO der einfachere Part ist – Personalmanagement im Jahr 2023“, so der vielsagende Titel ihres Vortrags. Junge Menschen der Generation Z seien einer Erhebung zufolge „die illoyalsten Jobber aller Zeiten.“ Sie seien technologieaffin, umwelt- und selbstbewusst, nachhaltig – aber eben auch wählerisch, fordernd und mit hohen Ansprüchen unterwegs. „Wir können das gut oder schlecht finden – wir werden uns nur darauf einstellen müssen.“ Recruiting funktioniere heute völlig anders als noch vor fünf Jahren. „Die Bewerber erwarten heute Digitalität, unbefristete Arbeitsverträge mit flexiblen Arbeitszeiten, übertarifliche Leistungen bei Urlaub und Gehalt und Weiterentwicklungsmöglichkeiten.“ Darüber hinaus gab sie zahlreiche Tipps für eine niedrige Fluktuation (von Aufmerksamkeit bis zur strikten Teamhygiene) oder zur wertschätzenden Reaktion auf eine Kündigung (vom Gegenangebot bis zur Freistellung).
Eine echte Innovation konnte Gastgeber und ABZ-ZR-Geschäftsführer Tassilo Richter seinen Gästen mit dem „ABZ-Factoring-Navigator“ präsentieren: Eine Schnittstelle vom ABZ-Factoring zu Ivoris, die ganz aktuell fertig gestellt wurde. Was die Praxen davon haben? „Ein besseres Zahlungsmanagement und ein schnellerer Zugriff auf alle benötigten Dokumente ermöglichen eine problemlosere, flexible und maximal effiziente Abrechnung.“ Kurz gesagt: eine umfassende Lösung für optimales Patientenmanagement. So habe das Kieferorthopädische Kompetenzzentrum der ABZ-ZR seinen Anspruch als ganzheitlicher Praxispartner verstanden und erneut klar unterstrichen.
Zurück zum Fachlichen brachte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Dr. Peter Göllner aus Bern. Mit „Die Abrasionstheorie – Ein Erklärungsversuch für orthodontische Probleme“ war sein Beitrag überschrieben, der sich der ganzheitlichen Betrachtung des Patienten widmete und Bruxismus als Teil der Evolution definierte. Überhaupt nahm die Biologie viel Raum in Dr. Göllners Vortrag ein, beispielsweise die Gesichts- und Schädelentwicklung. Den Grundsatz „Form follows gravity“ folgend plädierte Dr. Göllner beim Frontzahntrauma immer für den kieferorthopädischen Lückenschluss. „Vitale Zähne folgen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte der Graviation/Schwerkraft – das kann ein Implantat nicht.“ Dem Kiefergelenk, genauer der „Implementierung individueller Kiefergelenksdaten in die virtuelle Kieferorthopädie“ widmete sich Dr. Werner Schupp, Köln. Ausführlich ging er auf Kiefergelenksprobleme und deren Ursachen ein: Meistens sei dies eine pathologische Gelenkposition, bei der der Gelenkraum irgendwo in der HIKP eingeengt sei. „Jedes Gelenkproblem ist IMMER auch ein Raumproblem.“ Er erläuterte seine „Überlegungen zur digitalen Gelenkaufzeichnung“ und beschrieb dezidiert den Behandlungsablauf mit InHouse produzierten Alignern mit integriertem virtuellen Artikulator. „Erst wenn die Okklusion mit der physiologischen Kondylenposition übereinstimmt, können wir von einer erfolgreichen KFO-Behandlung sprechen.“
Die Grenzen der Aligner Orthodontie zeigte Dr. Jörg Schwarze, Köln, auf – und wie sich diese im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte verschoben haben. Noch 2012 attestierte eine Studie, körperliche Zahnbewegungen seien mittels der CAT nicht möglich. Hier sei man heute deutlich weiter. Heute könne nahezu jede Fehlstellung mit Alignern behandelt werden. Wie dies in der Praxis funktioniert, erläuterte Dr. Schwarze anhand zahlreicher Patientenbeispiele. Sein Fazit: „Durch verbesserte klinische Erfahrung und Weiterentwicklung der CAT einschließlich der digitalen Workflows ist die Technik heute für nahezu alle Indikationen einsetzbar.“ Dr. Schwarze schloss mit dem Appell: „Die Beseitigung der Limitationen für körperliche Bewegungen sollte vorrangiges Ziel der Wissenschaft sein.
Den letzten Vortrag des Tages hielt Wilma Mildner, Ubstadt-Weiher, über „Stabiles und Flexibles in turbulenten Zeiten in der Kieferorthopädie.“ Was vielleicht fachlich anmutete, war ein Beitrag zum Behandler als Unternehmer. Eine klare Zielsetzung garantiere den Praxiserfolg wie kaum ein anderer Faktor. „Geben Sie sich Zeit und Raum, diese Ziele auszuarbeiten und schriftlich zu fixieren – am besten losgelöst vom Praxisalltag.“ Auch Wilma Mildner sprach über die Herausforderungen moderner Führung. „Schenken Sie dem Team mehr Aufmerksamkeit.“ Bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee ein Stimmungsbild abzuholen, koste fünf Minuten, komme jedoch als Effizienz zurück.
Nach so viel Input, den die Teilnehmerinnen und Teilnehmer begeistert aufsogen, lud der Tegernsee bei strahlendem Wetter zum Durchatmen, Erholen und vielleicht auch zum Reflektieren des einen oder anderen Denkanstoßes ein, bevor der „Bayerische Abend der ABZ-ZR“ startete. Ein vorzügliches Menü und Stimmungsmusik gaben den Rahmen für einen unvergesslichen Abschluss dieses Kongresses. Sicher dürfte sein: Wer SEA LOVE KFO 2023 erlebt hat, wird sich SEA LOVE KFO 2024 definitiv nicht entgehen lassen!